Die Poesie aus dem Alltag schälen

Holzschnitte in der Galerie Kunst-Kontor

Potsdamer Neueste Nachrichten 20.03.2015

Uta Zaumseils Holzschnitte in der Galerie Kunst-Kontor sind unerwartet differenzierte Bilderwelten.

Potsdam - Manchmal gehen Turnschuhträger an den kleinen Häusern der Elfen achtlos vorbei. Schuhkartongroß stehen die Behausungen der Märchenwesen auf dem Bürgersteig. Auf dem Bild von Uta Zaumseil in der Galerie Kunst-Kontor Sehmsdorf sind sie zu sehen. Es ist nicht das einzige Bild, auf dem sich unvermittelt eine poetische Note in die Bildwelt der Künstlerin schleicht. Ausgangspunkt ihrer Arbeiten sind meist Alltagsszenen, die wenig poetisch wirken: kahle Häuserwände von Altbauten, Müllmänner, Parkbänke. Häufig sind die dargestellten Szenen in ein diffuses Licht getaucht, das dem banalen Topos eine magische Anmutung verleiht.

Politischer Inhalt nicht auf ersten Blick erkennbar

So verbergen manche der Holzschnitte eine harte Realität, die sich nicht unmittelbar ablesen lässt – etwa bei „Pias Bild“: „Das ist ein Flüchtlingsboot“, so die Künstlerin, und meint die Menschen, die in einem kleinen Boot zusammenhocken, Lichtstrahlen, die vor einem unbestimmten, grünen Hintergrund aus dem Himmel brechen und auf die spiegelnde Wasseroberfläche treffen, leuchtendes Grün und Gelb, dessen Textur an Urwald erinnert. Die gesamte Konstruktion des Holzschnittes ist in einem fragilen Gleichgewicht gehalten. „Ich kann den politischen Inhalt nicht vom Bild trennen, auch wenn man es ihm nicht ansieht“, sagt Zaumseil. Sie geht bei ihren Holzschnitten von einem oder mehreren Fotos aus, die sie auf der Platte kombiniert. Die Vielfarbigkeit der Bilder entsteht dadurch, dass die Künstlerin immer weitere Teile der Platte wegschneidet und mit dem verbleibenden Rest eine neue Farbe auf das Bild druckt. So wird jede Farbe in einem eigenen Druckvorgang aufgebracht. „Verlorene Platte“ heißt der Fachbegriff für die Technik. Die gelegentlich auch im Titel aufblitzende Poesie zieht sich durch die meisten Arbeiten der Künstlerin, die auch ihr eigenes Leben zum Thema der Bilder macht.

„Glückliche Zeiten“ hat Zaumseil ein Bild getauft, auf dem ein Mann mit einem kleinen Kind auf den Schultern auf einer Wiese steht. Ein Frisbee kommt auf die Zweiergruppe zugesegelt. Der Betrachter nimmt ungefähr die subjektive Perspektive der Scheibe ein. Tatsächlich ist Uta Zaumseils 25-jähriger Sohn Oskar nicht nur häufig als Bildmotiv, sondern auch mit einer eigenen Arbeit in der Ausstellung vertreten. Die surreale Grafik des Kunststudenten lässt bereits eine eigene Handschrift erkennen. Uta Zaumseil selbst allerdings hat nie Kunst studiert, sondern nach einer kurzen Tätigkeit als Buchhändlerin beschlossen, Künstlerin zu werden. „Das kann jeder für sich selber beschließen, es ist ja ein kein geschützter Beruf“, stellt sie lapidar fest. Auf erste Ausstellungen in den 90er-Jahren folgten rasch Stipendien und Preise. Mittlerweile ist Zaumseil eine international gefragte Künstlerin in der überschaubaren Szene der Holzschnittkünstler. „Ich wollte nie etwas anderes machen“, erklärt sie. Die Technik des Holzschnittes hätte ihr schon in der Schule am besten gefallen – und so blieb sie bei dem Medium. Ein Kunststudium sei für sie, die aus der DDR stammende Künstlerin, nicht möglich gewesen: „Da waren die Studienplätze ja sehr begrenzt.“ Schon recht schnell hat sie jedoch ihren eigenen Stil gefunden, zunächst mit ornamentalen Motiven, dann mit Straßenszenen und Einzelmotiven.

Immer ein bisschen abstrakt

Dass ein Holzschnitt immer flächig bleibt, stört sie nicht. „Holzschneiden geht langsam und ich arbeite gerne mit dem Widerstand, den mir die Platte entgegensetzt. Außerdem bleiben die Motive immer auch ein wenig im Abstrakten, das mag ich“, sagt Zaumseil.

Sie schafft es, aus dem an sich spröden Material eine differenzierte Farbigkeit und Subtilität an Formen zu gewinnen, die an die Fragilität alter Holzschnitte erinnert. Nicht das Rohe und Unverfälschte, das die Expressionisten im Holzschnitt suchten, interessiert Zaumseil, sondern die Schicht für Schicht herausgeschälte subtile Poesie des Alltags. Mit eskapistischen Bildern der Sehnsucht, so die Galeristin, taucht die Künstlerin ein in die vielfältigen Bilderströme der Gegenwart.

 

 

 

 

 

 

Bildtext: Das Grauen lauert unter der Oberfläche. So idyllisch „Pias Bild“ auch wirkt – es zeigt ein Flüchtlingsboot. Eines von denen vielleicht, die immer wieder auf dem Mittelmeer kentern und die, die voll Hoffnung nach Europa aufbrachen, mit in die Tiefe reißen. Foto: Uta Zaumseil

Erschienen am 20.03.2015 auf Seite 22

Von Richard Rabensaat