STILLE WELT - FOTOGRAFIEN
VON MONIKA SCHULZ-FIEGUTH
BILD: PROZESSION IM KLAUSURGARTEN

Die Lichtmalerin

Märkische Allgemeine 06.11.2010

Pater Raphael sitzt unter Christus. Den Mund leicht geöffnet, die Augen geschlossen. Die Hände ruhen auf dem Schoß. Unter seinem schwarz-weißen Gewand schauen dunkle Turnschuhe hervor. Doch Pater Raphael will nicht rennen. Er will bleiben. Im Kloster. Für immer.

Monika Schulz-Fieguth hat diesen Moment mit der Kamera festgehalten. Die Potsdamer Fotografin ist im österreichischen Zisterzienserkloster Heiligenkreuz in eine Welt eingetaucht, die ihr als Protestantin neu war – und die sie über drei Jahre hinweg in ihren Bann gezogen hat. Die Bilder sind nun in der Potsdamer Galerie Kunstkontor zu sehen. Sie zeigen die Beichte, das Beten, den Gesang. Vor allem aber zeigen sie die Mönche, ihre Gesichter, ihre Bewegungen.

Monika Schulz-Fieguth interessiert der Mensch. Weniger sein pures Antlitz, mehr seine Geschichte. „Ich kann nicht jeden porträtieren“, sagt die Fotografin. Und sie will auch gar nicht jeden vor die Linse holen. Nur wer sie fasziniert, wird zu ihrem Motiv. So wie Pater Raphael. Der Bildhauer aus Stahnsdorf – mit bürgerlichem Namen Wilfried Statt – lebt seit fünf Jahren als Mönch im Kloster Heiligenkreuz bei Wien. Monika Schulz-Fieguth wollte ihren Künstlerfreund besuchen, sehen, wie er lebt, verstehen, was ihn bewegt. Sie reiste einmal hin, dann immer wieder. Mit der Zeit lernte sie andere Mönche kennen. Sie nahm an den Gebeten teil, lauschte den Gregorianischen Chorälen und blickte ins Kerzenlicht. Wie so oft in ihrem fotografischen Leben hatte sie ihr Thema nicht gesucht, es hatte sie gefunden.

Monika Schulz-Fieguth wird im November 61 Jahre alt. Wenn die blonden Locken ihr Gesicht umspielen und das schwarze Kleid den schlanken Körper betont, würde ihr niemand dieses Alter geben. Es überrascht nicht, dass sie früher selbst Fotomodell war. Noch bevor sie zum ersten Mal eine Kamera in den Händen hielt, präsentierte sie Ende der 60er Jahre auf Bildern Mode. Zum Beruf der Fotografin kam sie eher zufällig. Ursprünglich wollte sie etwas mit Chemie machen. Doch ihr Vater stellte den Kontakt zu einem Fotostudio her und sie dachte: „Gut, Fotolaborantin ist auch Chemie.“ Ihr Lehrmeister aber fragte: „Willst du dein Leben wirklich im Dunkeln verbringen?“ Nein, sagte sie und wählte den schöpferischen Part.

Auch als Fotografin ist die Dunkelkammer nie ihr Zuhause geworden. Wenn sie vom Übergang ins digitale Zeitalter spricht, leuchten ihre Augen. Endlich konnte sie ganz im Hellen arbeiten. „Ich hatte das Wasser und das Dunkle satt“, sagt sie und Abscheu schwingt in ihrer Stimme mit. Das versteht umso mehr, wer weiß, wie sehr Monika Schulz-Fieguth das Licht liebt. „Was wären wir ohne Licht?“, fragt sie. Fotografie ist für die Künstlerin Malen mit Licht. „Ich benutze es wie einen Pinsel.“ Brutales Licht auf einem Gesicht ist wie ein Verhör. Warmes Licht lässt den Menschen erglühen. Unentwegt ist die Fotografin auf der Suche nach einem Licht, das ausdrückt, was sie empfindet und sieht. Mit Scheinwerfern arbeitet sie dabei nur selten. Die natürliche, die sanfte Helligkeit fasziniert sie. So wie das Sonnenlicht, das die Kreuzgänge im Kloster erleuchtet. So wie das Kerzenlicht, das just im Moment der Aufnahme auf das Gesicht eines betenden Mönchs fällt.

„Ich will mein Gegenüber ergründen“, sagt Monika Schulz-Fieguth. Und das braucht Zeit. Mitunter Jahre. Schon für die Bilder ihrer Diplomarbeit lebte sie 1988 ein Jahr in einer Wohngemeinschaft für behinderte und nichtbehinderte Menschen. Die Porträts des Physikers Hans-Jürgen Treder sind über einen Zeitraum von 20 Jahren entstanden. „Ich taste mich langsam heran, suche Nähe“, sagt die Fotografin. Keine leichte Aufgabe bei Professor Treder. Der Wissenschaftler war Eremit, er lebte nur für seine Forschung. Jeder, der ihn kannte, sagte: „Ein Porträt? Das schaffst du nie.“ Da war die für sie so entscheidende Faszination geweckt. Sie fing den Professor morgens um sechs ab, schoss das erste Foto und begleitete ihn mit ihren Bildern bis zu seinem Tod. Wie ihr das gelungen ist? „Ich weiß es nicht“, sagt sie ehrlich. „Ich habe ihn verehrt, er hat mir vertraut.
Vielleicht hat das unsere Freundschaft ausgemacht.“ Eine Freundschaft, so stark, dass Professor Treder der Patenonkel einer ihrer beiden Töchter wurde. Selbst das Weihnachtsfest hat der 20 Jahre ältere Forscher bei ihrem Mann – dem Neurochirurgen Manfred Schulz – und ihr am Heiligen See in Potsdam verbracht.

Wenn man sich als Mensch nahe kommt und ihr Gegenüber vergisst, dass da eine Kamera ist, dann empfindet Monika Schulz-Fieguth Glück. Dann ist auch der Schritt zur Aktfotografie nicht mehr weit. „Wenn das Vertrauen stimmt, ist es leicht zu sagen: Du kannst mich ganz haben“, meint sie. Dann kann sie einen Menschen sogar am Tag seines Todes aufnehmen. So wie ihren Vater. Ihn fotografierte sie in seinen letzten Stunden. „Er liebte es, wenn ich Bilder von ihm machte“, erinnert sie sich leise.

Die Fotografie als Liebeserklärung: an einen Menschen, wie ihren Vater, an eine Landschaft, wie den Heiligen See, an ein Leben, wie das der Mönche. „Ihre für mich so geheimnisvollen Rituale haben mich gefesselt“, sagt Monika Schulz-Fieguth.
Die Bilder hat sie mit Pater Karl als Buch herausgebracht. Auch das Foto von Pater Raphael ist zu sehen. Sein Moment der Stille ist bewahrt. Für immer.

Pater Karl Wallner/Monika Schulz-Fieguth: Licht einer stillen Welt. Gütersloher Verlagshaus, 144 Seiten, 29,99 Euro.

Von Meike Jänike


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