ANTLITZ - GEMÄLDE, GRAFIK
SKULPTUREN VON
CLEMENS GRÖSZER
BILD: ENGEL MMVII

Zwischen Anmaßung und Demut

Antlitz", das ist die gehoben dichterische, wohl auch ein wenig altmodische Bezeichnung für Gesicht. Für das, was der Mensch anderen zuwendet

Berliner Zeitung 24.08.2010

Antlitz", das ist die gehoben dichterische, wohl auch ein wenig altmodische Bezeichnung für Gesicht. Für das, was der Mensch anderen zuwendet - als Visitenkarte - und das etwas von seinem Wesen preisgeben kann zwischen Kinn und Stirn. Gesicht wäre viel zu profan im Hinblick auf die Bildnisse des Berliner Malers Clemens Gröszer. Bei ihm ist ein Antlitz nicht bloß Äußerlichkeit. Oft wird die Haut durchlässig für Gefühle, die von innen nach außen drängen. Aber auch durchlässig für den Blick von außen, der zu ergründen sucht. Da wird Melancholie offensichtlich, Ironie, auch Aggressives. Und bisweilen schaut man da auch auf eine verstörende Maske. Gröszer stellt jetzt in der Potsdamer Bertinistraße aus, an jener kulturhistorisch interessanten Meile, die bis zum Fall der Mauer in einen Dornröschenschlaf versetzt war und deren geschichtsträchtige Villen samt angrenzendem Lenné-Park nun, saniert und investitionsmutig bezogen, neue Bürgerlichkeit gewinnen. Mitten hinein in diese neue Gründerzeit setzt der 59-Jährige seine "Antlitze", Gemälde, fast plastisch dichte Zeichnungen und Skulpturen aus den Neunziger und 2000er-Jahren. Es sind moderne Gestalten, diese Akte, diese chimärenhaften Bronzeengel auf der Weltkugel. Die fast porentiefen Porträts. Und zugleich sind dieser Werke auch altmeisterlich-manieristisch. Aktmodelle wie "Lydia" und "Monica mit rosa Handschuhen", die im Blick auf die Blöße der schönen, zugleich vergänglichen Körper zu Vanitas-Motiven werden. Heidi Vogel, eine Bildhauerkollegin des Malers, ist auf ihre Weise eine Schönheit, allerdings eine mit gnadenlos scharfen Zügen. Realistische Sicht und kritische Analytik gehen in Eins. Gemalt ist die Frau ganz aus der malerischen Faszination des Körperlichen, das zugleich Wesenhaftigkeit meint. Hier wurde nicht idealisiert, aber auch nicht karikiert. Sie ist eine starke, eigensinnige, zugleich sensible Persönlichkeit, das besagen Augen, Mund, Nase - und die sich energischer Formung von Bildhauermaterial bewussten Hände. Letztere lassen an die Manier eines Cranach denken, beim "Antlitz" ist man auch an den Verismus von Dix erinnert. Gröszers Bildwelt, dieses Spiel mit perfekten Lasuren, wird geradezu irritierend lustvoll vom Menschen beherrscht, von Frauen, nackt oder halb bekleidet, lasziv posierend, oft dominierend selbstbewusst, daneben Gegenstände, die mit Bedeutungen aufgeladen sind: exotische Pflanzen, opulenter Zierrat, magische Kugeln, schrille Dessous. Das Hervorheben von Individualitäten, mit dieser kühnen Mischung aus Trivialem und klassischer Lasur-Technik hatte dieser Maler schon in den Achtzigern eine Außenseiterrolle in der Kunstszene eingebracht. Clemens Gröszer, an der Kunsthochschule Weißensee ausgebildet und danach Meisterschüler bei Wieland Förster an der Akademie der Künste, war Mitglied der Künstlergruppe Neon-Real (mit Harald Schulze und Rolf Biebl). Damit aber gehörte er weder Malern einer mythologischen Geheimsprache an, wie man sie in der Leipziger Schule pflegte, noch passte er in die weltabgewandt-arkadische Berliner Schule. Gröszer kultivierte und bewahrte sich - in seiner unorthodoxen Hinwendung zu Otto Dix, Christian Schad, Georg Schrimpf, bisweilen zu Magritte und de Chirico und Alten Meistern wie Cranach, Dürer, Holbein, Bosch - seine Eigenart, gerade auch im verwirrenden globalen Ismus-Kunstmarkttrubel heute. "Alles, was ich sehe, ist nur Maskerade", äußerte er vor einigen Jahre, als er seinem Schlüsselbild "Marin a cholie" von 1983, das der Neuen Nationalgalerie Berlin gehört und in dem eine Hurengöttin vor Caspar David Friedrichs Kreidefelsen auf Rügen sitzt, in einer neuerlichen Malversion ein brutal kneifendes Korsett um Hüfte und Bauch schnürte. Das Monstrum verformt die weichen Körperzonen zu harten Wülsten. Das harnischartige Oberteil geht über in eine steife Halsstütze und von da in einen turmhohen Turban, den man auch als extremen Kopfverband sehen könnte. Und auch heute steht nicht der Gesellschaftskritiker an der Staffelei, vielmehr ein durch und durch ästhetischer Beobachter, vielleicht auch ein Bonvivant. Es geht ihm nicht um soziale Vivisektion; ihn interessiert der malerische Selbstausdruck für das Changieren von Individualität im trivialen Welttheater. Gröszer rückt hartnäckig Sinnbilder vom Menschen vor Augen, mal in subtiler Lasur, oft aber zugespitzt und ans Groteske stoßend. Die Details sind raffiniert ausgearbeitet und ästhetisch wohl kalkuliert. In diesen "Antlitz"-Bildnissen vereinen sich künstlerische Anmaßung, heutzutage seltene malerische Virtuosität und tiefe Demut vor dem, was ihm nach wie vor am allerwichtigsten ist, was nicht verschwinden darf aus der Kunst: das Menschenbild.

Von Ingeborg Ruthe


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